Artikelbeschreibung
Hätte ich eine zweite Chance, ich würde es wiedergutmachen.“ – Chester Bennington (übersetzt aus dem Songtext v. „Morei Sky“; 1994)
Eine Textzeile, die einem im Nachhinein einen Schauer über den Rücken jagen kann. Dabei haben nicht wenige Sätze und Passagen, die in Chester Benningtons Songs auftauchen, diese Qualität: Vieles, was der viel zu früh gestorbene Musiker sang, schrie, mit seiner unverwechselbaren Stimme in Songs verpackte, ob nun mit Linkin Park oder einer anderen Formation, hatte das Zeug dazu. Hatte diese einzigartige Wucht.
Als er jedoch von jener „zweiten Chance“ sang, war Bennington gerade mal 17 Jahre alt. Er war damals Sänger und Frontmann seiner allerersten Band: Grey Daze. Sein Versprechen geht im Jahr 2020 in Erfüllung – wenn das Album Amends (zu Deutsch: Wiedergutmachung) von Grey Daze bei Loma Vista Recordings erscheint. Kurz vor seinem Tod hatte Chester Bennington den Plan gefasst, ein neues Album mit Grey Daze aufzunehmen, das eigentlich im Jahr 2018 erscheinen sollte. Stattdessen kamen die alten Bandkollegen aus den Neunzigern, befreundete Musiker, Familienmitglieder und weitere Gäste zusammen und taten alles dafür, den Songideen jene „zweite Chance“ zu geben, die diese Kompositionen verdienten. Letztendlich sollten sie fertigstellen, was der verstorbene Musiker begonnen hatte.
Die verbleibenden Bandmitglieder – Gründungsmitglied Sean Dowdell (Schlagzeug, Hintergrundgesang) sowie Mace Beyers (Bass) und Cristin Davis (Gitarre), die Chester erst 2017 ins Boot geholt hatte – wählten schließlich 11 Songs aus und machten im Jahr 2019 Neuaufnahmen, mit denen sie seine Originalgesangsspuren einrahmten und unterfütterten. Viele dieser Gesangsaufnahmen waren bislang unveröffentlicht, echte Schätze aus dem Archiv. Das Ergebnis zeigt vor allem, wie weit die Ikone Bennington seiner Zeit damals schon voraus war, an jenem so wichtigen Punkt in der Geschichte des Rock. Zugleich wächst sein musikalisches Erbe um einen weiteren Meilenstein...
„Viele der Themen, die er da vor 20 Jahren in diesen Songs adressiert hat, sollten sich danach bewahrheiten, und sie klingen auch heute noch absolut relevant“, sagt Sean. „Was sofort auffällt, wenn man sich diese Platte anhört, ist die Intensität, die emotionale Wucht, die bei jedem einzelnen Wort mitschwingt. Er zeigt ganz offen seine Traurigkeit, seinen Schmerz, Aggression, auch Wut. Und jedes Gefühl, das er transportieren will, klingt absolut ungefiltert und glaubwürdig. Unsere Parts noch einmal neu um seine Gesangsspuren aufzunehmen war eine wahnsinnig intensive Erfahrung: Es war einfach verdammt cool, endlich mal wieder mit meinem besten Freund zusammenspielen zu können.“
Amends ist ein Album, dessen Entstehungsgeschichte gut zwei Jahrzehnte umspannt. Genau genommen beginnt diese Geschichte sogar schon im Jahr 1992, als Sean ein kleines Bandprojekt in Phoenix, Arizona gründet. Ein gemeinsamer Freund machte damals den Vorschlag, es doch mal mit dem 15-jährigen Chester als Sänger zu versuchen. Und nachdem der sein Können mit einigen Pearl-Jam-Coverversionen unter Beweis gestellt hatte, war die Sache eigentlich geritzt. Allerdings hatte der neue Sänger seinerseits eine Bedingung...
„Er fragte mich: ‘Kannst vielleicht mit meinem Vater klären, ob das okay ist?’“, erinnert sich Sean und muss lachen. „Woraufhin ich sagte: ‘Na, klar doch.’ Ich fuhr ihn dann nach dem Vorsingen rum und ging mit ihm ins Haus. Chesters Vater war Polizist, und er trug gerade seine Uniform, als ich das Elternhaus betrat. Ich war damals ein 17-jähriger Punk mit ultralangen Haaren, was seinen Vater echt skeptisch machte – vollkommen berechtigt, wie ich finde. Ihm war wichtig, dass sein Sohn bei mir gut aufgehoben war. Ich versprach seinem Vater, dass ich mich immer um ihn kümmern würde, und das tat ich dann auch.“
Auch wenn sich diese allererste Band schon bald wieder zerschlagen sollte, ging bloß sechs Monate später eine andere Konstellation daraus hervor – Grey Daze. In der Gegend um Phoenix machten sie sich direkt einen Namen, besonders mit ihrem selbstveröffentlichten Debüt Wake Me aus dem Jahr 1994. Erst waren die Clubs in der Stadt regelmäßig ausverkauft, 1996 konnten sie sich dann sogar die Bühne mit Bands wie Bush oder No Doubt teilen. Als sie 1997 dann ... no sun today nachlegten, füllten sie in ihrer Heimatregion schon locker 2000er-Hallen. Dann kam das Ende: Zwar wurden zwischendurch mehrere Verträge unterzeichnet, doch es folgten bandinterne Konflikte – und die Auflösung im Jahr 1998. Chester hatte danach ein halbes Jahr lang gar keine Band; er ging zurück in seinen alten Job und fertigte Scans von Landkarten an. Dann meldete sich ein alter Freund, der den Vorschlag machte, doch mal für die Band Xero aus L.A. vorzusingen – die sich dann wenig später in Linkin Park umbenennen sollte.
Schon 2001 fassten Chester und Sean gemeinsam den Plan, Grey Daze für einen Charity-Auftritt wiederzubeleben, um so Geld für ihren Freund und Gitarristen Bobby Benish zu sammeln, bei dem ein tödlicher Hirntumor festgestellt worden war. Obwohl das geplante Konzert letztlich doch nicht stattfinden konnte, blühte die alte Freundschaft wieder auf: Beide lebten ab sofort in derselben Gegend und wurden sogar Businesspartner, die Seans erfolgreiches Tattoo-Unternehmen Club Tattoo groß machten.
Pünktlich zum 20. Jubiläum von ... no sun today rief Chester bei Sean an, um ihm eine Idee zu unterbreiten. „Er sagte ungefähr: ‘Mir fehlt das einfach, astreinen Rock zu spielen – und mir fehlen unsere gemeinsamen Sessions. Wir sollten die Band wieder zusammenbringen, beim großen Jubiläum von Club Tattoo auftreten und unsere alten Songs neu aufnehmen.’ Also fassten wir den Plan, diese Live-Show auf die Beine zu stellen und ein Album zu machen. Wir kündigten die Sache sogar schon im Netz an: Das Konzert sollte am 20. Oktober 2017 steigen. Und dann kam, was dann kam.“
Aufgewühlt, traurig, verwirrt und einfach nur leer, nachdem die Nachricht von seinem Tod bei Sean & Co. angekommen war, wurde es wieder still um Grey Daze. Ein weiteres Jahr verging. Bis Sean den Entschluss fasste, den Wunsch seines Freundes doch noch zu verwirklichen – sprich: eine Auswahl von Songs von Wake Me und ... no sun today neu aufzunehmen. Talinda Bennington gab der Sache ihren Segen. Und so kamen Sean, Mace und Cristin mehrfach in den NRG Studios zusammen, um den Songs zusammen mit Executive Producer Jay Baumgardner neues Leben einzuhauchen.
Der Eröffnungstitel „Sickness“, zugleich erste Single, erhebt sich auf einem ominösen Beat, schlägt dann in dichte, verstimmte und verzerrte Sounds um, wobei auch Paige Hamilton (Helmet) ausgeholfen hat. Chesters Stimme klingt eindringlich, hypnotisch, wenn er schreit: „I need more. Can you help me? Feed my sin. Come and kill me. It’s calling me.“
Über die Entstehung des für diese Band so zentralen Songs „Sometimes“ sagt Sean dann: „In dem Text geht es um Verlust, um Hoffnungslosigkeit. Er bittet um Hilfe. Es ist ein Schrei der Verzweiflung. Und dazu sehr prophetisch, was die späteren Geschehnisse angeht. Ich werde nie vergessen, wie dieser Song entstanden ist: Wir schrieben damals gerade im Studio, und er war spät dran. Als er dann schließlich kam, ging er sofort ans Mikrofon und brüllte diesen Refrain da hinein. Der Text spiegelte genau das wider, was in seinem Leben gerade vor sich ging: Er hatte die Schule hingeschmissen, sich von seiner Freundin getrennt, wohnte danach bei mir. Diese ganzen Spannungen, die Ängste und Schmerzen kann man da raushören. Und sie ziehen sich wie rote Fäden durch die Tracks.“
Ein luftiger Bass durchzieht „Just Like Heroin“, bis die düstere Bridge einsetzt: „It’s my time to fade“, singt er, die Sätze knapp, ungeschönt: „Dying on the floor. See myself as I am. Excuses are just like heroin.“ „Ja, der handelt davon, wie damals all unsere persönlichen Helden durch Heroin ums Leben gekommen sind“, so Sean. „Shannon Hoon, Jonathan Melvoin, Bradley Nowell – jeweils eine Überdosis. Uns hat das echt fertiggemacht, diese Jungs zu verlieren, weil es da diese emotionale Verbindung gab, weil uns ihre Musik einfach so viel bedeutet hat.“
Auf dem schonungslos ehrlichen „Soul Song“ ist neben Chester auch erstmals dessen Sohn Jaime am Mikrofon zu hören; außerdem hilft hier der Gitarrist Chris Traynor (von Bush) aus. Die beiden Korn-Gitarristen Brian „Head“ Welch und James „Munky“ Shaffer verleihen „B12“ noch mehr Nachdruck, während die US-Sängerin LP bei „Shouting Out“ als weiterer Gast zu hören ist.
Der Titel des Albums geht auf das vom Klavier getragene, eingangs zitierte Stück „Morei Sky“ zurück: „Dieser Song brachte einfach die ganze Stimmung und das Kerngefühl dieses Projekts auf den Punkt“, sagt Sean. „Ich denke, uns hat das geholfen, den Schlussstrich zu ziehen: Er ist nicht mehr unter uns, aber wir können seine Musik verbreiten, sie den Fans präsentieren.“
Insgesamt unterstreicht Amends Chesters Worte, macht seine Zeilen unsterblich.
„Vor allem war es eine Gelegenheit, Chester so den Fans zu präsentieren, wie wir es für richtig und angebracht halten“, sagt Sean abschließend. „Wir wollten erreichen, dass es sich so anhört, als ob Chester ein Soloalbum aufgenommen hätte. Es war stets sein Plan gewesen, die Band wieder zusammenzubringen und die Songs richtig gut zu produzieren, sie allen zugänglich zu machen. Begonnen haben wir diese Songs gemeinsam. Ich musste sie dann für ihn fertigmachen – damit die ganze Welt sehen kann, wie viel emotionale Integrität in jedem seiner Worte lag.“
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von Nicko Emmerich (07.02.2020) Als Frontmann von Linkin Park wurde Chester Bennington zum Superstar, der mit seinen Liedern Millionen von Musikfans berührte und zum Sprachrohr seiner Generation avancierte. Mit „Amends“ erscheint nun das offizielle Debütalbum der ersten Band der 2017 verstorbenen Rockikone, die der Amerikaner kurz vor seinem Tode wiedervereinigen wollte. „Amends“ ist eine Songsammlung ausgewählter Tracks aus den beiden inmitten der 90er in Eigenregie veröffentlichten Scheiben, die mit modernen Mitteln noch einmal neu aufgenommen und schließlich ohne ihn komplettiert wurden. Stücke wie die erste Single „What´s in the eye“ vereinen alte Originalaufnahmen des damals 17-jährigen Chester mit brandneu eingespielten Parts zu einem ganz besonderen Tribut. Ein letztes Mal sorgt Bennington mit packenden Songs wie „Sickness“, „In time“ oder „She shines“ für Gänsehautschübe. Ein ganz besonderes Denkmal für einen ganz besonderen Sänger, dessen Stimme nun wahrlich unsterblich geworden ist.